AUFRUF: 8. März 2024 – Feministische Streikgespräche

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Aufruf der FAU Dresden und der AG Feministische Kämpfe in der FAU Dresden

Auch dieses Jahr hat krass begonnen. Auf den Straßen gibt es Massenproteste und in vielen Betrieben wird gestreikt. Gründe dafür gibt’s genug: Der Kapitalismus produziert wie am Fließband einen Krieg und eine Krise nach der nächsten und wer dafür bezahlt, sind wie immer die, die eh schon die Arschkarte gezogen haben. Das sind die Armen, das sind Leute ohne Mitsprachemöglichkeiten, das sind Menschen, die ihren Aufenthaltsort nicht frei wählen können, das sind Frauen und Queers, auf die gespuckt wird, die angegrapscht und scheiße oder gar nicht bezahlt werden. Wir finden das zum Kotzen!

Unser Wirtschaftssystem entmenschlicht uns alle jeden Tag aufs Neue: Meine Genossin arbeitet in der Pflege, sieht jeden Tag Menschen leiden und kennt Lösungen, die entweder niemanden interessieren, oder die in einen auf Effizienz getrimmten Arbeitsablauf einfach nicht passen wollen. Ich suche mit einem akuten Problem eine Ärztin und bekomme einen Termin in 4 Monaten. Mein Mitbewohner bleibt in einem Job, der ihn durch Leistungsdruck und Pausenlosigkeit krank und kaputt macht, weil das Bürgergeld ein Witz ist und ihn der Armut ausliefert. Wir alle kennen tausende dieser Alltagsgeschichten…

Das Problem heißt Kapitalismus, aber nicht nur. Denn auch das Patriarchat trägt seinen Teil dazu bei, uns am Ende doppelt fertig zu machen – auf der wirtschaftlichen Ebene und der Ebene unserer Beziehungen. Nur wenn ich meinen Mitbewohner nach einem stressigen Arbeitstag mit einem Essen und Gespräch wieder aufbaue, kann es am nächsten Morgen produktiv und effizient weitergehen. Nur weil unsere Müttergeneration von früh bis spät umsonst für ihre Familien gesorgt und ihre eigenen Träume und Entwicklungsmöglichkeiten zurückgestellt hat, konnte unsere Vätergeneration Geld für die eigene Rente verdienen und Politik für sich selbst machen. Und so bleibt die Mutter meiner Freundin, die 5 Kinder großgezogen hat, aus Angst vor Altersarmut in einer Ehe, die sie unglücklich macht. Was für eine Scheiße!

Und die Kirsche auf der Torte: All der Druck, die Entmenschlichung und die ständige existenzielle Unsicherheit wirken sich nicht nur an unserem Arbeitsplatz oder bei Ämterbesuchen aus, sondern auch auf all unsere zwischenmenschlichen Begegnungen und persönlichen Beziehungen. Dass meine Nachbarin durch ihren Partner Gewalt erfährt, ist nicht nur eine persönliche Tragödie, sondern die logische Konsequenz. Weil sich sexistische Gewalt – auf der Straße wie zu Hause – im Patriarchat gegen Frauen und Queers richtet, müssen wir uns täglich Sorgen um sie machen. Auch das finden wir zum Kotzen!

Wir wollen nicht verwertbar sein, unser Wert liegt in uns selbst. Wir wollen raus aus der Ohnmacht und selber entscheiden, wie wir leben und arbeiten. Wir wollen eine Gesellschaft, in der wir überall und immer zuerst Menschen sein dürfen – nicht Maschinen, weil immer Krise ist, weil der Laden weiterlaufen muss.

Ich will, dass mein Mitbewohner Pausen machen kann, wenn er Pausen braucht und wenn er krank ist, bleibt er einfach zu Hause. Ich will, dass er gar nicht erst krank wird, weil er die ganze Zeit unter einem absurden Leistungsdruck steht. Ich will, dass meine Genossin in der Pflege den Menschen, die ihre Unterstützung benötigen, so helfen kann, wie sie es brauchen – ohne Zeitdruck. Alle können sich mit ihren Fähigkeiten einbringen und wissen dabei, wofür sie das tun.

Wir wollen eine Gesellschaft, in der wir keine Angst haben müssen. Angst, die uns einengt, uns vereinzelt, uns kleinhält und unsere Energie frisst. Wir wollen eine Gesellschaft, in der wir für uns selbst und andere einstehen, in der wir unsere Arbeit, Probleme und unsere Freude miteinander teilen. Wir wollen eine Gesellschaft, in der wir uns umeinander kümmern können, z.B. wenn wir alt oder dement sind oder Liebeskummer haben.

In dieser Gesellschaft, für die wir kämpfen, …
… schert sich niemand mehr um Geschlecht – was war das noch gleich? – oder um Herkunft oder Hautfarbe oder Religion.
… erfährt niemand Gewalt wegen diesem Scheiß von gestern und wir müssen keine Angst um unsere queeren Freundinnen mehr haben. …gibt es ganz viele verschiedene Lebens- und Liebensweisen und keiner kommentiert und bewertet das. Es ist nicht gefährlich, verschieden zu sein. Es ist einfach so.
… haben wir große Beziehungsnetzwerke, die uns Sicherheit geben, weil wir Zeit haben, sie zu pflegen.
… können wir entsprechend unserer Fähigkeiten tätig sein (oder auch nicht), ohne dass die Befriedigung unserer wirklichen Bedürfnisse davon abhängt,
… fügen wir nicht durch unsere Lebensweise automatisch anderen Menschen und der Natur überall auf der Welt Schaden zu.

Dieser Utopie können wir schon heute Stück für Stück näher kommen, indem wir uns langfristig organisieren, in Gewerkschaften, in Protest- und Streikbewegungen. Aber nicht alle Streiks und Proteste richten sich gegen Staat, Patriarchat und Kapital. Dabei sind wir uns ganz sicher:
… dass wir uns als Lohnabhängige überall auf der Welt basisdemokratisch zusammenschließen und gemeinsam herausfinden müssen, was wir überhaupt brauchen, welche Arbeit es dafür benötigt und wie wir sie gerecht verteilen können.
… dass es eine Verbesserung der Lebensbedingungen nur mit einer feministischen Ausrichtung geben kann. Wenn wir für uns und unsere Bedürfnisse kämpfen, tun wir das nicht als allein stehende feministische Bewegung, sondern wir bringen unsere feministischen Perspektiven in alle Kämpfe ein, die wir ausfechten müssen und werden.

Eine feministische Streikbewegung aufbauen heißt für uns…
… die Streiks und Streikenden um uns herum zu unterstützen – mit Besuchen, Gesprächen, Geld oder Kuchen.
… von ihren Kämpfen etwas für unsere eigenen zu lernen und uns miteinander zu verbünden.
… feministische Forderungen in all unsere Lebensbereiche zu tragen, sei es auf Arbeit, in unsere Familien, unsere Netzwerke und all unsere Träume.
… uns beim Streiken und Protestieren kollektiv um unsere Bedürfnisse, wie die Versorgung mit Essen, finanzielle Absicherung und emotionale Unterstützung zu kümmern.
… unbezahlte Sorgearbeit so zu organisieren, dass wir für den Umbau unserer Gesellschaft Zeit und Kraft haben.
… immer wieder den Normalzustand zu unterbrechen, sei es durch Streiks, Blockaden, Besetzungen und andere Formen der Verweigerung.
… uns unserer kollektiven Stärke bewusst zu werden, sie gemeinsam wachsen zu lassen und gezielt einzusetzen.


Call: March 8th – Feminist strike talks

Call of the FAU Dresden and the AG Feministische Kämpfe of FAU Dresden

And yet another year with a frantic beginning. In the streets, there are mass protests happening and many workers are on strike. The reasons are many: Capitalism’s conveyer belts produce wars and crises one after another and who pays are, as always, those who have been given the worst cards on their hands, anyway. The poor, the voiceless, those deprived of the right to move freely, women and queers, who are spat on, who are harassed, who are paid badly or not at all. What a bullshit situation.

The economic system we live in dehumanises us every day anew: my comrade works in the care sector, sees people suffering on a daily basis and knows possible solutions. But nobody pays attention to their ideas or they just won’t fit into a labour routine solely orientated on efficiency. I’m addressing a doctor with acute symptoms and get an appointment four months later. My flatmate stays with a job, which destroys them by performance pressure and lack of breaks, just because Bürgergeld is nothing more than a bad joke and will put them into poverty. All of us know thousands of stories like this.

The problem is capitalism, but not only. ‘Cause patriarchy has it’s share in finishing us off on top of that – on an economic level, but also on the level of our relationships. Only if I manage to support my flatmate after a hard working day by providing food and an open ear, the next day will pass in a nice, productive and efficient way. Only because our mothers took over the whole care for their families day in day out, unpaid, postponing their own dreams and opportunities, could our fathers bolster their own pensions and engage in politics on their own behalf. And so it turns out, that my friend’s mother, who raised 5 children, is afraid of ending up in old-age poverty and thus, stays with her husband whom she cannot stand anymore. It’s a shame!

And the icing on the cake is that all that pressure, that dehumanization, the permanent substantial insecurity do not only influence us at our workplaces or in appointments with social welfare officers but also affect all our interpersonal contacts and relationships. The fact that my neighbour is experiencing domestic violence, is not only a tragedy but a logical consequence. Sexual violence – no matter if it happens in the streets or at home – under patriarchy is directed at women and queers, so we constantly have to worry about their well-being. This is another thing that drives us crazy!

We don’t want to be “of use”, the real use lies within ourselves. We want to get rid of this powerlessness and decide ourselves how to live and work. We want a society, in which we are always and primarily human beings – not machines, which have to shoulder this or that crisis, ’cause the system has to keep on running.

I want my flatmate to be able to take breaks whenever they need them and that they just stay at home while being sick. I want them not to get sick in the first place because of being constantly pressed for the need to perform. I want my comrade in the care sector to be able to help their clients in the way they need it – not being pressed for time. Everybody can contribute according to their abilities and know what it is all for.

We want a society, in which we do not have to be afraid. Fear limits us, separates us from each other, keeps us down and feasts on our energy. We want a society, in which we stand up for ourselves and others, in which we share our work, our problems and our joy with each other. We want a society, in which we are able to take care of each other, when we are old or demented or lovesick.

In this society, for which we are fighting …
… nobody gives a fuck about gender – what, say again? – or about origin, skin colour or religion.
… nobody is experiencing violence because this is such an out-dated concept and we can stop worrying about the well-being of our queer friends.
… there are loads of different ways to live and to love and nobody comments or judges that. It’s not dangerous to be different. It is just as it is.
… we have big networks of relationships, which give us security, because we have the time to care for them.
… we are able to work (or not work) according to our abilities, without the fulfilment of our true needs being dependent on that.
… we do not harm other human beings or our planet by our sheer way of living.

Already today, it’s possible to make steps towards this utopia – by long-term organising in unions, in protests and strike movements. Though, not all strikes and protests are aimed against state, patriarchy and capital, we are sure
… that we, the people from all over the world, who must sell their labour to be able to survive, have to get organizedhorizontally and equally and find out, what it is that we actually need, which work has to be done and how we can distribute this work fairly.
… that a real improvement of our living conditions can only be achieved on a feminist basis. Whenever we fight for the things we need, we don’t do this as a single-topic feminist movement, but we introduce a feminist stance into all struggles we need and we will carry out.

For us, to build up a feminist strike movement means
… to support strikes and strikers in our cities and beyond – by visiting them, talking to and about them, raising money and bringing biscuits.
… to apply the insights of their struggles to our own and get united.
… to introduce feminist demands into every sphere of life, be it the workplace, our families, our relationships or our dreams.
… to care for our needs, such as eating, financial security, emotional support while striking and protesting.
… to reorganise unpaid care work in a way, which gives us the time and the strength to change our society.
… to continually interfere with the given conditions, by striking, blocking traffic, squatting or other forms of defiance.
… to become aware of the strength we can have together, to let it grow and use it wisely.


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