Hallo,

ich bin Anne. Ich bin Intensivpflegekraft in Berlin und Studentin in Dresden. Ich bin in der Berliner Krankenhausbewegung, bei Verdi organisiert, bin aktiv im wunderschönen Bündnis für Pflege hier in Dresden und in der Sozialistischen Organisation Solidarität.

In den letzten beiden Tage haben wir in Berlin in über 10 Kliniken gestreikt. Die Mehrheit der über 1000 Streikenden waren Frauen. Pflegekräfte waren neben Reinigungskräften und Hebammen auf der Straße und setzen sich im Rahmen des Kampfes im öffentlichen Dienst für einen dringend benötigten Lohnzuwachs von 500 Euro ein.

Frauen verdienen im Schnitt heute noch 18 Prozent weniger auf alle Lohnabhängig Beschäftigten gesehen. Vor allem wird dieser Unterschied in den Gehältern in frauendominierten Berufen deutlich. Arbeiter*innen verdienen in Carebereichen wie Pflege, SozialeArbeit oder Pädagogik deutlich weniger im Vergleich zu Berufsgruppen mit gleicher Ausbildungslänge in der Industrie oder im Handwerker. Auch in Dienstleistungen wie Verkauf oder Reinigung sind die Gehälter deutlich unterhalb des durchschnittlichen Einkommens. Auf das gesamte Leben verdienen Frauen gerade einmal die Hälfte zudem, was Männer verdienen. Frauen sind wesentlich stärker von Altersarmut betroffen als Männer. Dies ist nicht nur durch die niedrigeren Stundenlöhne bedingt, sondern auch durch Teilzeit, da sie oft im familiären Kontext noch unbezahlte Arbeit leisten müssen. 

Dass Frauen in ihren Berufen so wenig verdienen, dass sie teilweise nicht einmal von ihrem Lohn leben können, ist durch antifeministische Patriachale Strukturen bedingt. Erwerbstätigkeit von Frauen wird oft immer noch als Zuverdienst für die Familien gesehen – als sei es ein Hobby der Frau, dem sie nachgeht, weil der Typ ja eh die Kohle mit nach Hause bringt. 

Dies ist ein Bild, was nicht nur lebensgefährlich ist, weil Flinta-Personen mit wenig oder fehlendem Einkommen in gewalttätige Beziehungen gehalten werden, sondern auch falsch, weil es ganz klar die unterschiedlichsten Lebenskonstelationen von Menschen missachtet.

Auch werden Frauendominierten Berufen oft das Recht auf lebenssicherndes Gehalt abgesprochen. Schließlich sei das Hebammen-Dasein vor allem eine Herzensangelegenheit und hätte keinen keinen Anspruch auf ein gutes Lohneinkommen. Dass ich in erster Distanz als Pflegekraft arbeite, damit ich Lohn verdiene, und danach meine Leidenschaft für diesen Beruf zum tragen kommt, wird nicht gesehen. 

Careberufe sind ein wesentlicher Bestandteil für die Organisation und Erhaltung einer Gesellschaft und derer zusammenleben. Ohne diese Tätigkeiten würden Menschen nicht gebären können, wären Kinder nicht betreut, würden Menschen keine psyochsoziale Unterstützung  bekommen und könnten Menschen nicht genesen nach Krankheit. Alle Menschen sind auf Careberufe angewiesen. Doch die Problematik ist, dass diese Bereiche einem Staat Geld kosten und keine Gewinne in Form von Steuern wiedereinbringen – etwas, was einem kapitalistischen Staat wiedersagt. Somit ist es im Interesse des Kapitals, auf wenige Arbeiter*innen viel Arbeit zu konzentrieren und ihnen gleichzeitig wenig Lohn zu zahlen. Die Folge ist eine unzureichende und unsichere  Daseinsfürsorge aller in einer Gesellschaft.

Es macht mich wütend, wenn das Narrativ von Medien und Politik verbreitet wird, dass Carebereiche nicht bestreikt werden können oder bestreikt werden sollten, da dies zu Lasten der zuversorgenden Menschen ginge. Es ist aber der fucking normalZustand – erzeugt und geduldet von der Politik, der zu Lasten der jungen, alten, kranken und zu unterstützenden Menschen geht. Wir müssen also den Normalzustand zum Wohle unserer Selbst und unserer Patient*innen, Schüler*innen oder Bewohner*innen verändern und überwinden- und das geht nur über Streiks und solidarische Bewegungen der gesamten Arbeiter*innenklasse.

Streiks sind jeher das wirksamste Mittel im Rahmen unsrer kapitalistischen Ordnung. Es gibt nichts schlimmeres für den Kapitalismus, als wenn Maschinen stillstehen und Arbeit nicht erfüllt wird. Durch Arbeitskämpfe schaffen wir uns als Arbeiter*innen eine Verhandlungsgrundlage, denn niemand wird uns etwas schenken. Wir müssen die verantwortlichen Arbeitgeber*innen und die Politik zwingen.

Gleichzeitig müssen feministische Werte in die Gewerkschaften und Streikbewegungen Einzug erhalten. Auch in der Arbeiter*innenklasse müssen stereotypische geschlechtsbezogene diskriminierende Vorstellung überwunden werden. Intersektionalität, also das Verständnis, dass verschiedene Diskriminierung gleichzeitig stattfindet und die Abschaffung davon, muss von allen in unserer Klasse gelebt werden.

Wir brauchen eine Radikalisierung der Streikbewegungen in den Careberufen. Die jahrtausende Ausbeutung und Prekarisierung dieser Tätigkeiten müssen beendet werden, um für die Arbeiter*innen und zuversorgenden Menschen in Pflege, Betreuung, Erziehung und Bildung menschenwürdige Bedingungen zu schaffen. Die Zeit, dass man uns mit unseren eigenen schlechtem Gewissen im Istzustand hält, sollte vorbei sein. Wir müssen uns alle gemeinsam in Gewerkschaften organisieren, um unsere Forderungen durchzusetzen. Diese Kämpfe können jedoch nur auf der Straße im Streik geführt werden, denn alle – auch die Politik – wissen, wie es um die Berufe und die Zustände im Carebereich aussieht und es hat sich nichts geändert.

Gleichzeitig bin ich aber der Überzeugung, dass all das, was wir uns in Streiks und anderen Bewegungen erkämpfen an Reformen, immer unsicher bleiben wird im Kapitalismus. Wir sehen es in den USA, wo das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gekippt worden ist.

Stattdessen müssen wir als Massenorganisation aller Lohnabhängigen  Menschen international als Arbeiter*innenklasse für die Abschaffung aller Ungleichheiten in Bezug auf Reichtum, Macht, Geschlecht und Autorität kämpfen. Der Kapitalismus muss überwunden werden und eine neue sozialistische Gesellschaft geschaffen werden, um nicht nur das Patriarchat zu stürzen, sondern alle Menschen zu befreien.